Aus der Geschichte der Gemeinde Ruit

Der Ort Ruit wurde erstmals 1173 in einer Papsturkunde als "Rutte" erwähnt. Der Name geht vermutlich auf die Bedeutung "gerodetes Land" zurück. Eine andere Theorie leitet den Ortsnamen vom Wort "Ried" ab, das für "nasse Wie­sen" steht.

Die Propstei Nellingen besaß hier zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert um­fang­reichen Grundbesitz und unterhielt auch einen Fronhof. Die Vogteirechte stan­den seit dem 13. Jahrhundert den Württem­bergern zu. 1519 wurde Ruit von den Esslingern niedergebrannt. Zu je­ner Zeit wurde der Ort Horb zwischen Ruit und Kem­nat letztmalig erwähnt. Er wurde zur Wüs­tung.

Das Bauerndorf Ruit wuchs von rund 500 Einwohnern im Jahr 1800 auf rund 1.200 Einwohner im Jahr 1900. In dem traditionell protestantischen Ort ent­wickelte sich im 19. Jahrhundert nicht zuletzt durch das Wirken des Ruiters Jakob Friedrich Haspel (1780-1870) eine rege pietistische Bewegung, die bis heute spürbar ist.

Wichtigen Einfluss auf die Ge­schichte des Ortes nahm die Industrialisierung des nahen Neckartals seit der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts. Immer mehr Bauern gingen in die Fabrik und be­trieben die Land­wirtschaft nur noch im Nebenerwerb. Ruit wurde mehr und mehr zur Ar­bei­ter­wohn­gemeinde mit einer starken Arbeiterbewegung. 1938 kam das traditionell zum Amts­oberamt Stutt­gart gehörige Dorf zum Landkreis Esslingen.

Im Nationalsozialismus waren der nahe Fliegerhorst Nellingen und die mili­tä­ri­sche Forschungs­anstalt Graf Zeppelin im Gewann Zinsholz wichtige Einrich­tun­gen für Ruit. Seit 1948 wird das ehemalige Gelände der Forschungsanstalt von der Sport- und Jugendleiterschule Nellingen/Ruit genutzt, die den Namen "Ruit" weithin bekannt gemacht hat.

Durch den Zuzug von Flüchtlingen und Heimatvertrie­benen nach dem Zweiten Weltkrieg, durch den Sied­lungsdruck der benachbarten Lan­deshauptstadt Stutt­gart und nicht zuletzt durch die erfolgreiche Ge­wer­be­ansiedlung vergrößerte sich Ruit auf rund 7.700 Ein­wohner im Jahr 2005. Das ehemalige Bauerndorf entwi­ckelte sich in den letz­ten Jahrzehnten zur modernen, auf­stre­benden Gemeinde. Seit 1975 ist Ruit ein Stadt­teil Ostfilderns.

 

Zur Geschichte des Gemeindearchivs Ruit

Der älteste überlieferte Aktenplan stammt aus dem Jahr 1902. Nach einer Rüge durch die Visitation wurde damals der Kemnater Verwaltungs­kandidat Gottlob Friedrich Strobel beauftragt, die Gemeinderegistratur neu zu ordnen. Strobel machte sich für einige Wochen an die Arbeit und trug die Kasten-Fach-Faszikel-Signaturen fein säuberlich in das vorge­druckte Heft "Re­pertorium über die Ge­meinde-Registratur" des Kohlhammer-Verlags ein. Er scheint seine Sache gut gemacht zu haben, denn vier Jahre später wurde Strobel zum Ruiter Schultheißen gewählt, ein Amt, das er 20 Jahre mit großem Erfolg inne­hatte. Damals war eine geordnete Schriftgutverwaltung in der öffentlichen Verwaltung noch hoch ange­sehen und die Basis für eine Verwaltungs­karriere.

Ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auch der historische Archiv­bestand durch einen Archivpfleger erstmals verzeichnet. Dieses Repertorium ist leider nicht mehr vorhanden. Der traditionelle Aufbewahrungsort von erhaltens­wertem Schriftgut war auch im Ruiter Rathaus der Dachboden. Diese Unter­bringung des Re­gistratur- und Archivguts ließ jedoch zu wün­schen übrig: Die Unterlagen seien "dort durch den Einfluß der Witterung dem raschen Untergang ausgesetzt", notierte man ins Protokoll und beschloss deshalb die Einrichtung eines Registratur­zimmers.

Im Jahr 1953 sichtete Kreisarchivpfleger Wilhelm Böhringer die Ruiter Archiv­be­stände. Dabei stellte er fest, dass seit den ersten Verzeichnungsarbeiten zu Be­ginn des 20. Jahrhunderts er­hebliche Verluste bei den Amtsbüchern eingetreten waren. Ver­mutlich sind beim Umbau des Rathauses in den 1930er-Jahren etliche Archi­valien abhanden gekommen. Archiv­pfleger Böhringer nahm erste Ver­zeich­nungs­arbeiten im Jahr 1954 vor. Als die Archi­valien, die zuvor im alten Rathaus in der Scharnhauser Straße auf mehrere Lagerorte verteilt waren, 1963 in einem Ar­chivraum im Obergeschoss des neuen Rathauses Ruit zusammenge­führt werden konnten, ordnete und verzeichnete Böhringer die Bestände erneut.

Waren die Akten zuvor nach dem Flattich-Aktenplan abgelegt worden, wurde 1965 der neue Boorberg-Aktenplan eingeführt. Bei dieser Umstellung waren er­heb­liche Registraturbestände in das Archiv zu übernehmen. Böhringer nahm des­halb 1972 eine Neuverzeichnung der Akten vor und fertigte in diesem Zuge auch ein Findbuch für sämt­liche Bestände des Gemeinde­archivs Ruit an. Auf dieses Bestands­verzeichnis be­ziehen sich die im vorliegenden Find­buch angege­be­nen alten Archivsignaturen (A. A.).

1981 bis 1985 ordnete und verzeichnete das Kreisarchiv Esslingen unter Dr. Chri­stoph J. Drüppel die Bestände erneut. Das Ge­meindearchiv Ruit wurde als selbst­ständiger, unvermischter Bestand­teil in das Stadtarchiv Ostfildern in­te­griert. Die Bestände lager­ten im Untergeschoss des Hallenbades Ruit. 1991 ent­stand im Kreisarchiv das Konzept eines Find­buches für die Urkunden, Rech­nun­gen und Amtsbücher des Stadtarchivs Ostfildern. Mit der Einrichtung des Stadt­archivs in einem eigenen Gebäude im Nellinger Kloster­hof konnten die Archi­valien 1991 sachgerecht und benutzerfreund­lich un­tergebracht werden.

Seit 1992 ist die haupt­amtliche Stelle eines Stadtarchivars be­setzt. Das 1992 vom Stadtarchiv Ostfildern bearbeitete Findbuch "Gemeinde Ruit. Amtsbücher 1700-1974", das die Vorarbeiten des Kreisarchivs Esslingen komplet­tierte, verzeichnet 387 Amtsbücher mit einem Umfang von 25 lfd. Metern. Der gesamte Bestand des Gemeindearchivs Ruit umfasst heute fast 90 laufende Meter.

 

Der Aktenbestand Ruit

Die Verzeichnungsarbeiten für das vorliegende Findbuch wurden im Zeitraum zwischen April 2003 und Februar 2007 von Stadtarchivar Jochen Bender und Karin Hermann durchgeführt. Dabei gab es etliche Phasen, in denen die Arbeiten wegen anderweitiger Projekte für längere Zeit unterbrochen werden mussten.

Der gesamte Aktenbestand Ruit umfasste vor der Verzeichnung 52,2 lfd. Meter. Dieser Umfang setzte sich zusammen aus 22,2 lfd. Metern archivisch verzeich­nete Akten (A-Bestand Böhringer 1972), 12,6 lfd. Meter Registraturakten aus der Zeit vor 1965 (Flattich-Registratur mit einzelnen Kasten-Fach-Faszikel-Signatu­ren), 10,8 lfd. Meter Registraturakten aus der Zeit ab 1965 (Boorberg-Registra­tur) sowie 6,6 lfd. Meter thematisch geordnete, nicht in den Aktenplan integrierte Registratur­akten.

Nach der Verzeichnung beläuft sich der Umfang des Bestandes Ruit Akten auf 43, 8 lfd. Meter. Die Platzeinsparung von 8,4 lfd. Metern (= 16 Prozent) ergab sich durch die Aussonderung von Dubletten, durch effektivere Verpackung und ein­zelne Kassa­tionen nicht archivwürdiger Unterlagen.

Die vier Aktenschichten wurden aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit zusam­men­geführt. Wie nicht anders zu erwarten, befanden sich in der von Wilhelm Böhringer archivisch verzeichneten Aktenschicht die ältesten Aktenstücke. Die Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert ist insgesamt jedoch recht spärlich. Dies verwundert jedoch nicht weiter, da die losen Akten - im Gegensatz zu den ge­bundenen Amtsbüchern - nach Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben immer wieder ausgeschieden bzw. an Alt­papier­händler verkauft wurden. Böhringers A-Bestand wies jedoch zahlreiche Akten­stücke aus dem frühen 20. Jahrhundert auf.

Um den Entstehungszusammenhang zu doku­mentieren, wurden immer sämtliche alte Registratur­sig­na­turen (A. R.) und alte Archivsignaturen (A. A.) verzeichnet. Maß­geblich für die Zuordnung von Flattich- und Boorbergsignaturen war die im Jahr 1965 von Werner Frank zusam­mengestellte Aktenplan-Gegenüberstellung des Boorberg-Verlags. Akten ohne Registratursignatur und Akten der Boorberg-Schicht, deren Titel im Flattich-Aktenplan noch nicht berücksichtigt waren, wurden nach thematischen Krite­rien in die Systematik des alten Akten­plans ein­geordnet.

Das Archivgut wurde bei der Verzeichnung in säurefreie Umschläge gelegt und von Büroklammern befreit. Auf die Entfernung von Heftklammern wurde ver­zichtet, da hier auch bei den ältes­ten Schrift­stücken keinerlei Rostbefall zu erken­nen war. Der Arbeits­aufwand konn­te somit deutlich reduziert und Beschädi­gungen der zum Teil fragilen Papiere beim Entklammern vermieden werden.

Für die Ordnung der Faszikel ist in der Regel der Flattich-Aktenplan in der 5. Auflage von 1955 maßgebend. Die ange­ge­bene alte Registratursignatur (A. R.) kann sich - ohne dass dies vermerkt ist - je nach Laufzeit der Akte auch auf eine frühere Auflage des Flattich-Aktenplans beziehen. Die Ein­ordnung der Archiva­lien in die Systematik fand bei falsch vergebenen Regi­stratursignaturen nach dem Aktentitel bzw. nach dem Akteninhalt statt.

Um den Akteninhalt präziser zu beschreiben, als dies ein Aktentitel vermag, wurden zahlreiche Intus-Vermerke ("Enth[ält]:" und "Darin:") verwendet. Auf­grund der von Findbuch zu Findbuch un­terschiedlichen Handhabung der Begriff­lichkeiten sei deren Verwendung in die­sem Find­buch kurz erläutert: Beide Ver­merke bezeichnen stets einen Teilinhalt der Archi­valie. Der Ge­samtinhalt der Archivalie wird also auch bei der Ver­wen­dung von Intus-Ver­merken in al­ler Regel vom Aktentitel selbst be­schrie­ben. "Enth.:" verweist auf einen Teilinhalt, den man hinter dem Aktentitel vermuten könnte, jedoch einer besonderen Erwäh­nung wert ist. "Darin:" be­zeich­net einen Teil­inhalt, der nicht als üblicher Be­stand­teil der Archivalie anzusehen ist und ausgehend vom Akten­titel deshalb nicht aufzufinden wäre.

Insgesamt kann der vorgefundene Ordnungs­zustand der Gemeinderegistratur Ruit als recht gut bezeichnet werden. Durch die Verzeichnungsarbeiten konnten jedoch etliche Ablagefehler behoben werden. Um nur einige Beispiele zu nen­nen: Unterlagen über den Obst- und Gartenbauverein waren der Akte "Vieh- und Schafweide" zugeordnet. Dokumente über die Eröffnung der ersten Apo­theke (Rosenapotheke) lagen in der Akte "Gesundheitliche Überwachung der in Nahrungsmittelbetrieben Beschäftigten", und Schriftstücke über die Eröffnung einer neuen Zahnarztpraxis konnten in der Akte "Fleischbeschau" gefunden werden.

Durch die intensive Durchsicht der Akten konnten zahlreiche Informationen ver­zeich­net werden, die bislang nicht zielgerichtet aufgefunden werden konnten. So ist zum Beispiel in der Akte "Lehrkräfte, Lehrerrat" ein Schreiben aus dem Jahr 1907 ent­halten, das auf die Beschädigung der Ruiter Friedenslinde von 1871 durch einen Lehrer hinweist. Ohne einen nun gemachten Intus-Vermerk würde niemand auf die Idee kommen, Informationen über die Friedenslinde (Lage, Aussehen) in dieser Akte zu suchen. Dieser Aktenfund ist umso wertvoller als andere Informationen über diese Linde bislang nicht bekannt sind.

Ein anderes Beispiel für den großen Wert der Verzeichnungsarbeiten ist das Thema "Forschungsanstalt Graf Zeppelin": Hier konnten neben der Hauptakte RA 1331 nun über Intus-Vermerke etliche zusätzliche Fundstellen markiert und damit zusätzliche Informationen zugänglich gemacht werden.

Ein Verdienst der Verzeichnung ist sicherlich auch, dass zahlreiche statistische Angaben zu den verschiedensten Themen, die sich in anderslautenden Akten be­funden haben, nun vermerkt sind und im Index erscheinen.

Das vorliegende Findbuch gibt nicht nur eine detaillierte Gesamtübersicht über den Aktenbestand der selbstständigen Gemeinde Ruit, sondern ermöglicht den Benutzern nicht zuletzt durch den mehr als 2.100 Begriffe umfassenden Sach- und Namensindex auch eine ziel­ge­richtete, zeitsparende und gleich­­­­zei­tig um­fassende Recherche.

Ostfildern, im März 2007
Jochen Bender